Dienstag, 24. April 2012

GOODBYE VOLKSWAGEN TRANSPORTER II

Gut, „Odyssee“ ist dann definitiv übertrieben. Denn so ein Gebrauchtwagenkauf kommt ja nicht apokalyptisch über einen. Und es waren auch keine zehn Jahre verzweifelter Suche, sondern lediglich sieben läppische Tage. Aber was in dieser Woche – immer noch getragen vom Verlustschmerz des verstorbenen Volkswagen T4 – über uns kam, war doch deutlich unerwartet.

Nach der Düstererfahrung mit dem nächtlichen Verkauf des T4 war zunächst Erleichterung die bestimmende Emotion. Und ein paar Fahrrad- und Bussrunden später starteten wir frohen Mutes unsere mobile.de, Autoscout24.de und ebay-Kleinanzeigen-Offensive, die am Ende insgesamt ein Dutzend potentielle T5 Kandidaten ausspuckte. Vom T4 zum T5. Klar, man will sich verbessern. Nicht nur für die Nachbarn, sondern vor allem um sich selbst positiv zu programmieren. Es geht doch immer weiter. Und wir werden besser!


Bild aus: https://www.bergedorfer-zeitung.de/multimedia/archive/00976/automarkt_frascatip_976988b.jpg

Was dann aber auf der Stufe zum Besseren hin geboten wurde, war haarsträubend. Die ersten fünf T5-Anbieter waren schon sprachlich kaum zu verstehen. Und sie schienen auch alle auf der Straße zu leben, wie die deutlichen Hintergrundgeräusche unzweifelhaft verrieten. Also erstmal alle Händler-Handy-Nummern gestrichen.

Die nächsten beiden Kandidaten waren die vermeintlichen Top-Angebote. Leider nicht telefonisch erreichbar, also mailten wir ihnen unser Interesse am Schnäppchen-T5. Was dann als Antwort kam, nahmen wir zunächst zum Anlass die Angebote beim Anbieter sperren zu lassen und übergaben es dann der Polizei, die aber lapidar erklärte, das kenne man schon, dass wäre halt so die gängige Masche.

Und die geht so: Die Fahrzeuge stehen laut Mailinhalt in Irland bzw. Griechenland (!). Die Autos würden uns frei Haus geliefert. Allerdings müsse man die Frachtgebühren leider schon vorher überweisen: Dass würde aber vom günstigen Preis später auch noch abgezogen. Hölle! – wer fällt auf so etwas herein?: „You will pay to the company in two deposits,a first payment for they can start and deliver the transport at your address and a second payment in cash at delivery.In case that you don't like the car,the company will transfer the money (first payment) back to your bank account“


Bild aus: https://luftkraft.blogspot.de/2010_09_01_archive.html

So verblieben also noch zwei T5 Kandidaten mit realen deutschen Telefonnummern. Der erste war schon verkauft und der zweite ging nicht ans Telefon. Also probierten wir es später noch einmal. Aber zum Teufel: schon wieder Außengeräusche – und was für welche! So, als stände der T5 mitten in Kabul. Als uns der Angerufene schreiend bittet, doch später anzurufen, er müsse gerade noch „Munition aufladen“, bekamen wir es kurz mit der Angst. Klebt Blut an unserem neuen T5?

Mir kamen diese traumatischen Bilder aus Black Hawk Down in den Sinn. Ridley Scouts Meisterwerk. Blauschwarze Farbige auf rasenden Toyota Pickups hinter provisorisch montierten öligen Maschinengewehren wie später im realen Leben die Aufständischen in Libyen. Fahren moderne Kämpfer etwa neuerdings alle T5? Was ist der Vorteil gegenüber den offenen Toyotas?

Nächster Tag. Nächster Angriff - äh Anruf. Denn sonst war ja keiner mehr auf der Liste, also eh schon alles egal. Und die Sache wendete sich am absoluten Tiefpunkt zum ersten Mal wirklich zum Guten: Wir hatten den deutschen Unteroffizier aus dem Westfälischen gestern telefonisch nur auf dem Truppenübungsplatz erwischt. Und wie das so ist: Wo Erleichterung ins Spiel kommt, keimt sofort Hoffnung. Dieses starke „Alles wird gut“-Gefühl. Sogwirkung.

Weitere Anrufe folgen. Wir schießen uns ein. Mit jeder neuen präzisen Aussage des Soldaten schließen wir mehr Frieden mit dem Kriegsschauplatz Automarkt. Irgendwann sind alle Fronten geklärt und wir machen uns auf den weiten Weg.

Die Landschaft wird immer schöner. Frühling. Lichte Anhöhen. Alte Bäume. Die Häuser aus Naturstein. Zeitlos schön. Ja, mit jedem weiteren Kilometer entfernen wir uns mehr von diesem unsympathischen Autohändler-Deutschland zurück in ein Land der Ehrlichen und Wahrhaftigen – zumindest kam es uns in diesem Moment so vor.
Denn wer lebt in so einer Gegend, schaut auf die blühenden Rapsfelder und bescheißt dann beim Autoverkauf? Unmöglich!


Bild aus: https://kiegelandfoto.com/bilder/heimat.jpg

Das Navi erkennt das Ziel. Ein paar gepflegte Häuser. Vorgärten. Die ersten frischen Geranien. Aber auch dieses liebenswerte ländliche Provisorium. Dinge auf dem Hof, die noch zu schade waren, weggeschmissen zu werden: Alte Türen. Metallrohre, ein Schaufelstil der so lange Jahre gehalten und dann doch irgendwann alterschwach in der schweren Scholle gebrochen ist. Warum wegschmeißen, wenn sich doch noch eine Bohne daran der Sonne entgegen hangeln könnte?

Ja, wir fühlen uns hier beim Bundeswehrsoldaten wie zu Hause angekommen. Thea Dorns „Deutsche Seele“ – beinahe jedes Kapitel könnte hier bewiesen werden. Gut, vielleicht nicht „Freikörperkultur“, aber „Ordnungsliebe“, „Gemütlichkeit“ und „Männerchor“ gewiss.

Nennen wir ihn „Helmut“ steht schon am Tor. Im Flecktarn. Zivil wird erst kurz vor dem Abendbrot angelegt. Nicht sehr groß der Mann, aber einladende Lachfalten um die Augen, Sommersprossen und ein Schimmer Rot im blonden, militärisch frisierten Kurzhaarschnitt. Der Wagen – logisch – frisch von Hand gewaschen. Eimer und Schwamm stehen noch bei. Die Frau werkelt im Hintergrund. Ein kurzer scheuer Gruß und sie meldet sich zum Kaffeekochen ab.

Unser mitgebrachter 'Bruder Autoexperte' kriecht mit dem kleinen Soldaten unter den T5 und jammert eine halbe Stunde lang durch. Das kommt mir auf einmal sehr autohändlermäßig vor, aber gut – ein bisschen Kontrolle scheint der Uffz ok zu finden. Jedenfalls mault er nicht. Und seine Papiere sind auch i.O., wie der Bruder Experte in einer weiteren langen halben Stunde feststellt.

Dann nickt der Checker kurz versteckt: mein Zeichen. Also führe ich die Kaufverhandlungen. Und dieser dolle Westfale zeigt sich dabei von einer bescheidenen – ja doch: ich trau es mich jetzt zu sagen: deutschen – Fairness, die man 2012 schon gar nicht mehr erwartet hätte.

Der Kaffee kommt. Und selbst die Erkenntnis, das es „nur“ Löslicher ist, kann die Stimmung nicht mehr trüben. Die Krönung ist hier das angenehme Gesamterlebnis einer ziemlich unangenehmen Woche des Suchens mit unangenehmen Kontakten zu unangenehmen Menschen. Wir haben unseren T5 gefunden!

Als wir einsteigen, steht der Soldat an der Beifahrertür und kann die Frage nach dem Rückweg nicht mehr beantworten. Er klopft sich verlegen mit zwei Fingern auf den Kehlkopf - das militärische Zeichen für Sprechprobleme. Und dann treten ohne jede Vorwarnung stille Tränen aus seinen Augen. Ich stutze kurz und klopfe ihm dann
verständnisvoll auf die Schulterlitzen.

Der Gute hatte zuvor ohne sichtbare innere Regung erzählt, dass er monatelang in Afghanistan stationiert war und das er dort erst verstanden hätte, was seine Großeltern und Eltern im Krieg wirklich erlebt hätten. Und jetzt weint er zum Abschied um seinen T5 und verfolgt uns noch runter bis zum Gartentor!

Die gute Frau kommt von hinten, winkt uns mit dem einen und legt dabei den anderen Arm um die eheliche Flecktarn-Schulter. „Lieb Vaterland magst ruhig sein, lieb Vaterland magst ruhig sein.“

Ein paar Kilometer weiter blitzen die letzten Sonnenstrahlen über eine alte Mühle hinweg, brechen sich im Seitenfenster und wir schauen. Schauen dann nochmal aufs Fensterglas und nochmal. Und uns sprachlos an, bis wir in ein befreiendes Lachen ausbrechen, das den ganzen weiten Weg nach Hause anhält.

Wir hätten aber auch gut vor Rührung heulen können, denn der Unteroffizier hat mit seinem Finger heimlich einen letzten – bis hierher unsichtbaren – Gruß an die Scheibe seines ehemaligen T5 gemalt. Im Gegenlicht leuchtet ein schiefes zwar, aber unverkennbar ein Herz, wie es sicher noch etliche hier in alte Bäume geritzt zu finden gibt. Aber sicher noch keines an einem silberglänzenden Volkswagen T5.

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